Als freiberuflicher Pflegefachmann mit ambulanter psychiatrischer Spitex war ich auf der Suche nach einer zusätzlichen Methode für Menschen mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sowie für Menschen mit Depressionen und Angsterkrankungen.
Im stationären Setting existiert bereits, wenn auch nur vereinzelt, das Angebot des therapeutischen Boxens. Hingegen betrat ich im ambulanten Bereich damit nahezu pflegerisch-therapeutisches Neuland.
Meine Devise war es, den Klienten/Klientinnen eine wirksame, spielerisch erlernbar und anwendbare Strategie mit an die Hand bzw. den Boxhandschuh zu geben. Dies vor allem um mit starken Emotionen funktionaler umgehen zu können.
Nach intensiver Suche fand ich im Norden Deutschlands mit der Sporttherapeutischen Akademie sowie der MHH (Medizinische Hochschule Hannover) und mit Sportwissenschaftler Peter Klug einen seriösen und erfahrenen Anbieter. Die Zusammenarbeit mit Peter hat sich im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt und intensiviert. Dazu aber mehr in Runde sechs.
Nach einigen Aus- und Fortbildungen begann ich im Sommer 2020 mit meiner ersten Praxisstunde in Aarau.
Das therapeutische Boxen hat seinen Ursprung in der Sporttherapie. Bei dieser handelt es sich um eine bewegungstherapeutische Massnahme, die mit geeigneten Mittel (zum Beispiel Boxen als therapeutisches Boxen) des Sportes gestörte körperliche, psychischen soziale Funktionen kompensiert, regeneriert und gesundheitliches Verhalten fördert (vgl. Deutscher Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie 1992).
Sinnvolle boxtherapeutische Indikationen sind:
- Angststörungen
- Burn-out
- Depressionen
- Wahrnehmungsstörungen
- Suchterkrankungen
- Antriebslosigkeit Hyperaktivität
Natürlich gibt es auch Gründe (Kontraindikationen) die gegen das therapeutische Boxen sprechen. Gerade bei Patienten/Patientinnen in ausgeprägter und akuter Phase, welche zum Beispiel unter (paranoider) Schizophrenie und wahnhaftem Erleben leiden, sowie Bipolare Störungen innerhalb der manischen Phase. Ebenso eignet sich das therapeutische Boxen aus verletzungstechnischen Gründen bei Osteoporose nicht.
Positive und empirische Erfahrungen habe ich mit Klienten/Klientinnen sammeln dürfen, welche unter Depressionen und unter Angsterkrankungen leiden. Ebenso bei Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) und durch das Herausarbeiten von hochwirksamen Strategien zur Stress,- und Frustrationsreduktion.
Darüber hinaus stärkt das therapeutische Boxen insbesondere die Bewegungskoordination, die kognitiv-motorischen Fähigkeiten, Leistungs,- und Konzentrationsfähigkeiten sowie die Kondition. Aus den oben genannten Gründen ergibt sich, dass das therapeutische Boxen ebenfalls für ältere Klienten/Klientinnen zum Beispiel als Sturzprophylaxe geeignet ist.
Therapeutisches Boxen führt zu biologischen Anpassungserscheinungen durch eine Verbesserung des Stoffwechsels und der Leistungsfähigkeit. Gerade bei Patienten/Patientinnen mit reduziertem Selbstwert führt das therapeutische Boxen zur Verbesserung des Körpergefühls und dem Körperbewusstsein. Das therapeutische Boxen ist somit für fast alle Altersgruppen eine sinnvolle Methode.
Beim therapeutischen Boxen geht es keinesfalls darum, jemandem eins auf die „zwölf zu hauen“, oder wie ein Semiprofesioneller zu boxen. Es geht darum, ein auf den Klienten/Klientin und seinen/ihren Bedürfnissen und Wünschen individuell angepasstes und zielorientiertes pflegerisch-therapeutisches Boxsetting zu erarbeiten.
Natürlich darf, gerade um Verletzungen und mögliche Fehlhaltungen zu vermeiden, das Erlernen der Grundtechnik nicht fehlen. Dazu gehört die sogenannte Box-Grundstellung sowie Grundschläge. Ebenso die typischen Bewegungsmuster wie „Deckung hochnehmen“ und die Schrittfolge.
Da ich vermehrt im interdisziplinären Kontext arbeite, ist es mir ein Anliegen, den Behandler/Behandlerin (Psychiater/Psychiaterin, Psychologe/Psychologin) des Klienten/Klientinnen in meine Arbeit mit einzubeziehen. Dies hat den unschätzbaren Vorteil, dass praxisnahe Themen aus der Therapie wie zum Beispiel Umgang mit Wut oder Trauer im therapeutischen Boxen umgesetzt werden können. Anhand einzelner zielgerichteter und auf den Klienten/ Klientinnen abgestimmte Übungen (Praxis) geschieht dies.
Im Anschluss werden diese nachbesprochen und auf ihre Wirksamkeit hin eruiert (Theorie). Daraus ergibt sich dann der (Praxis-) Bezug für den Klienten/ Klientinnen und seinen bzw. ihren Alltagsnutzen.
In meine boxtherapeutische Arbeit mit dem Klienten/Klientin baue ich, je nach Situation, einzelne Elemente aus der dialektisch behavorialen Therapie (DBT) ein. So zeigt es sich, dass angeleitete Achtsamkeitsübungen sowie Elemente aus der (DBT-) Körpertherapie gerade zu Beginn und zum Ende der Stunde eine positive Wirkung haben.
Zusammengefasst zielt das therapeutische Boxen darauf ab, dysfunktionales und problematisches Verhalten zu erkennen und mit erlernten Strategien in funktionale Mechanismen umzuwandeln.
Vor knapp zwei Jahren nahm Frau Doris Meier* Kontakt mit mir auf. Sie wurde auf meinen Info-Flyer mit dem darin erhaltenen Zusatzangebot des therapeutischen Boxens aufmerksam.
Die meisten meiner Klienten/Klientinnen leiden unter einem eher herabgesetzten Selbstwert und haben oftmals einen langen Leidensweg hinter sich. Sich neuen Situationen und Mitmenschen zu öffnen kostet sie viel von ihrer Energie und auch Mut. In der Praxis hat es sich bewährt, dass wir im therapeutischen Boxen rasch vom Sie auf das Du wechseln.
Doris litt bis dato unter einer jahrelang anhaltenden Depression, mittleren Grades mit ausgeprägter Angst und Vermeidungssymptomatik. Das Anliegen von Doris war es, wieder einen Zugang zu ihren Emotionen zu bekommen. Aus erlernten Verhaltensmuster der Vergangenheit hat sich bei ihr ein ausgeprägter „Kopfmensch“ entwickelt. Zudem wolle sie ihren Emotionen nicht immer so stark ausgeliefert sein und an ihrem stark reduziertem Selbstwert arbeiten. Die Psychotherapeutin war ebenfalls instruiert und befürwortete dieses Zusatzangebot.
Innerhalb der Übungssequenzen merkte Doris, dass sie alle (Box-) Abläufe unbewusst kontrollieren wollte. Dies aus Angst, Scham und Kontrollverlust. Durch das bewusste Aufzeigen und Spiegeln der Übungen und dem Hervorbringen von Alltagsbeispielen gelang es Doris, mit gezielten Übungen ihre Ängste und der damit verbundenen Scham deutlich zu reduzieren. Darüber hinaus arbeiteten wir intensiv mit den Aspekten der eigenen Stimme, Selbst- und Fremdwahrnehmungsübungen (Spiegeln) und der Körperhaltung sowie Atem,- und Entspannungstechniken.
Im Laufe der Zeit entwickelte Doris ein deutlich verbessertes Gespür zwischen Ihrer Aussenwahrnehmung (Körper) und ihrem inneren Wahrnehmung (Gefühle). Die erlernten Strategien konnte Doris stufenweise aufgrund der Praktikabilität zu Hause umsetzen und somit Ihre Fertigkeiten intensivieren. Das therapeutische Boxen nahm Doris für eine Dauer von vier Monaten in Anspruch. Doris teilte mir auf Nachfrage mit, dass die angewendeten Strategien bis heute anhalten und einen nachweisbar positiven Einfluss im Leben haben. Aus dem therapeutischen Boxen heraus entstand bei Doris das natürliche Bedürfnis nach Bewegung im Alltag. Heute nimmt Doris zweimal wöchentlich an einer Sportgruppe in ihrer Region teil.